“Die Kurve abflachen” reicht nicht, wir müssen mehr tun und sie aufhalten
[Dies ist eine deutsche Übersetzung von Joscha Bachs englischsprachigem Artikel, der ursprünglich “Flattening the Curve is a deadly Delusion“ hieß. Dieser Artikel hieß ursprünglich ““Die Kurve abflachen” (“Flattening the Curve”) ist ein tödlicher Trugschluss” und wurde umbenannt, um Missverständnisse über die Intention zu vermeiden. Die Übersetzung wurde vor allem im Hinblick auf die Zahlen in Deutschland ergänzt. Korrekturen am 15.03. und 16.03. Wichtige Updates am 18.03. und am 20.03. mit weiterführenden Informationen am Ende des Artikels.]
Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir alle eine der Versionen dieser Kurve der COVID-19-Fallzahlen gesehen [in der deutschen Übersetzung werden Versionen aus deutschen Medien verwendet]:
[Oder diese Darstellung aus dem Artikel “Coronavirus — Die Wucht der großen Zahl” der Süddeutschen Zeitung, die eine sehr große Verbreitung fand:]
Es gibt noch viele weitere Darstellungen. Was alle diese Diagramme gemeinsam haben:
- Sie haben keine Zahlen an den Achsen. Es wird nicht deutlich, welche Anzahl von Fällen notwendig ist, um das Gesundheitssystem zu überlasten und über wie viele Tage sich die Epidemie erstrecken wird.
- Sie suggerieren, dass das Gesundheitssystem zum jetzigen Zeitpunkt mit einem großen Anteil der Fälle (z.B. 2/3, 1/2 oder 1/3) fertigwerden kann, und dass, wenn wir Abschwächungsmaßnahmen umsetzen, wir die Infektionen pro Tag auf ein Niveau reduzieren können, mit dem wir generell fertigwerden.
- Sie sollen uns letztendlich sagen, dass wir um so strenge Abriegelungen herumkommen, wie wir sie aktuell in China oder Italien beobachten können. Stattdessen lassen wir die Infektion sich durch die komplette Bevölkerung (langsam) ausbreiten, bis Herdenimmunität (bei 40% bis 70%) erreicht wird, indem die Infektionen auf eine längere Zeitspanne verteilt werden.
Können wir die Kurve durch Abdämpfung unter die Grenze des Gesundheitssystems drücken?
Diese Vorschläge sind auf eine gefährliche Art und Weise falsch und werden, falls tatsächlich umgesetzt, zu unglaublichem Leid und Not führen. Versuchen wir dies besser zu verstehen, indem wir die Achsen mit einigen Zahlen in Verbindung bringen:
Wie hoch ist die Kapazität des Gesundheitssystems?
Dies ist eine schwierige Frage und sie kann nicht in einem kurzen Artikel wie diesem nicht beantwortet werden. [Der o.g. Artikel der SZ geht auf einige Kapazitätszahlen ein.] Die Vereinigten Staaten haben ungefähr 924.100 Krankenbetten (2,8 pro 1.000 Menschen). Kalifornien hat lediglich 1,8. Länder wie Deutschland haben 8. Südkorea hat 12, ihr Gesundheitssystem wurde trotzdem überlastet. Die meisten dieser Betten sind im Einsatz, aber es können durch Improvisation zusätzliche Betten geschaffen werden (z.B. durch Hotels oder Sporthallen) und durch strategische Ressourcen des Militärs oder nationaler Hilfsorganisationen.
Auf der Grundlage chinesischer Daten können wir abschätzen, dass ungefähr 20% der COVID-19-Fälle sehr schwer sind und ein Krankenhausaufenthalt notwendig ist. Allerdings können viele schwere Fälle auch überleben, wenn sich zu Hause adäquat um sie gekümmert werden kann, z.B. mit Behandlungen, die Sauerstoff, Infusionen und Isolation einschließen.
Deutlich wichtiger ist die Anzahl der Betten von Intensivstationen, die nach Schätzungen [in den USA] bei ca. 100.000 liegt, von denen aktuell ca. 30.000 verfügbar sind. [Gemäß SZ in Deutschland ca. “28 000 Betten, von denen im Jahr 2017 im Mittel 5890 frei waren”.] Ungefähr 5% aller COVID-19-Fälle benötigen intensivmedizinische Behandlung und ohne diese werden alle von ihnen sterben. Die Anzahl der Betten von Intensivstationen kann bis zu einem gewissen Grad erhöht werden, aber die begrenzte Ausstattung die für die Behandlung von Sepsis, Nierenversagen, Leberversagen, Herzversagen, schwerer Lungenentzündung etc. notwendig ist, kann nicht beliebig ausgeweitet werden.
Ein wichtiger Teil der Gesamtgleichung sind Beatmungsgeräte. Die meisten der schwerkranken COVID-19-Fälle sterben an einer Infektion der Lunge, durch die das Atmen unmöglich wird und die soviel Gewebe zerstört, dass dadurch das Blut nicht mehr ausreichend Sauerstoff enthält. Diese Patienten benötigen Intubation und/oder künstliche Beatmung, um eine Überlebenschance zu haben, ggf. auch ein ECMO-Gerät [Extrakorporale Membranoxygenierung] um das Blut direkt mit Sauerstoff zu versorgen. Ungefähr 6% aller Fälle benötigen ein Beatmungsgerät, und wenn die Krankenhäuser alle vorhandenen Geräte einsetzen, wären dies ca. 160.000 [in den USA, in Deutschland wird laut SZ davon ausgegangen, dass alle Intensivstationsbetten mit solchen Geräten ausstattet sind, laut Deutschlandfunk wird von 25.000 Betten mit Beatmungsgeräten ausgegangen]. In den Vereinigten Staaten hat die CDC [Centers for Disease Control and Prevention] noch eine strategische Reserve von ca. 8.900 Beatmungsgeräten, die im Notfall in Krankenhäusern zum Einsatz kommen können.
Wenn wir die Anzahl der Beatmungsgeräte als eine Annäherung an die Grenze unserer medizinischen Ressourcen betrachten, bedeutet dies, dass wir im besten Fall ca. 170.000 schwerkranke Patienten gleichzeitig behandeln können. [In Deutschland wären dies dann zwischen 25.000 und 28.000, jedoch ohne Berücksichtigung der bereits belegten Intensivstationsbetten!]
Wie viele Menschen werden infiziert werden?
Ohne Eindämmung wird das Virus endemisch werden und führende Epidemiologen wie Marc Lipsitch (Harvard) and Christian Drosten (Charité Berlin) schätzen, dass zwischen 40% und 70% der Bevölkerung [laut Bundesregierung 60% bis 70%] infiziert werden, bis sich eine Herdenimmunität einstellen wird. (Leider wissen wir nicht, wie lange diese Immunität andauern wird. Schon derzeit sind unterschiedliche Stämme von COVID-19 zu beobachten und wir werden aufgrund der großen Zahl von Überträgern voraussichtlich noch viele weitere Stämme entdecken.) In den USA mit ca. 327 Millionen Einwohnern bedeutet dies zwischen 130 Millionen und 230 Millionen. Nehmen wir an, dass sich 55% (arithmetischer Mittelwert) der US-Bevölkerung zwischen März und Dezember infizieren, so sind dies letztendlich ungefähr 180 Millionen Menschen. [Für Deutschland mit ca. 83 Millionen Einwohnern bedeutet dies eine Spanne von 33 Millionen bis 58 Millionen Menschen, im Mittel dann knapp 46 Millionen.]
Was ist mit unentdeckten milden und asymptomatischen Fällen?
In den frühen Tagen der Infektion waren viele der außenstehenden Beobachter sehr skeptisch im Hinblick auf die chinesischen Zahlen. Man dachte, es würde eine sehr hohe Anzahl von unentdeckten milden und asymptomatischen Fällen geben, was bedeuten würde, dass die Sterbewahrscheinlichkeit viel geringer als angegeben wäre. Die WHO-Delegation in China, die von Bruce Aylward geleitet wurde, fand hierfür jedoch keine Anzeichen. Aylward vertritt die Ansicht, dass die chinesischen Tests sehr gründlich gewesen sind und nur ein kleiner Bruchteil der infizierten Fälle übersehen wurde, sobald genügend Ressourcen vorhanden waren. (Sogar die milden und asymptomatischen Fälle von COVID-19 sind ansteckend, also sind sie auch von Bedeutung.)
Wie viele Menschen werden schwerkrank werden?
Von den 180 Millionen in den USA [und den 46 Millionen in Deutschland], werden ca. 80% als “milde” Fälle eingestuft werden. Einige von ihnen werden keine Symptome zeigen, viele werden für zwei Wochen Grippe-ähnlich erkranken. Dies kann auch zu Lungenentzündungen führen, aber viele Leute werden mit regulären Behandlungsmöglichkeiten wieder gesund werden, normalerweise innerhalb von zwei bis drei Wochen. Ungefähr 20% werden zu schweren Fällen werden, diese Menschen werden auf medizinische Hilfe angewiesen sein um zu überleben. Die schweren Fälle werden ungefähr drei bis sechs Wochen zur Genesung benötigen. Um die 6% werden künstliche Beatmung benötigen, weil sie nicht mehr alleine atmen können. Die Hauptursache für die Differenzen der Todesraten in Wuhan (5,8%) und dem Rest von China (0,4% bis 0,7%) gehen auf die unterschiedlichen Möglichkeiten zurück, medizinische Unterstützung für die kritischen Fälle zur Verfügung zu stellen. (Update 18.03.2020: Die Zahlen für die Krankenhauseinweisungsrate und Intensivstationsrate basieren auf einem frühen chinesischen Bericht. In Italien liegt die Intensivstationsrate derzeit bei ca. 16%, aber der Großteil der milden Fälle ist vermutlich immer noch unentdeckt. Die durch das Kreuzfahrtschiff “Diamond Princess” gewonnenen Daten zeigen, dass ca. die Hälfte aller infizierten Fälle asymptomatisch bleiben. Deshalb sind 10% vermutlich eine genauere Schätzung der Krankenhauseinweisungsrate, hierbei ist liegt der Anteil der Patienten die eine Behandlung auf der Intensivstation benötigen bei ca. 2%-3%. Allerdings ist die tatsächliche Rate an Todesfällen derzeit immer noch strittig.)
Sobald eine Person auf ein Beatmungsgerät angewiesen ist, benötigt sie oftmals ca. vier Wochen, bevor sie die Intensivstation verlassen kann. Das ist eine sehr langsame “Durchlaufzeit”. Wenn wir dies als unseren Schätzwert verwenden, können wir berechnen, wie viele Personen gleichzeitig medizinische Ressourcen benötigen.
Die Kurve mit Zahlen
Nehmen wir an, dass 55% der Bevölkerung [180 Millionen in den USA, 46 Millionen in Deutschland] sich bis Ende 2020 mit COVID-19 infizieren und von diesen 6% (10,8 Millionen in den USA) [ca. 2,8 Millionen in Deutschland] zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Beatmungsgerät benötigen werden. Gehen wir zudem zur Vereinfachung unseres Models von einer Normalverteilung aus (einer symmetrischen Glockenkurve [“Gauss-Glocke”] mit einem steilen exponentiellen Anfang, einer allmählichen Abflachung sobald die meisten Menschen infiziert oder immun sind und einem allmählichen Rückgang durch den Behandlungsabschluss). Somit erhalten wir das folgende Diagramm für Deutschland:
Die rot-braune Linie im unteren Teil des Diagramms ist unsere begrenzte Versorgung mit Beatmungsgeräten und Intensivstationsbetten. Die rote Kurve enthält nicht alle Fälle von COVID-19, sondern nur die oben genannten 6% schwere Fälle, also die Menschen die sterben werden, wenn sie nicht ca. vier Wochen lang an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden. In diesem Szenario ist die maximale Anzahl von Fällen, die alle am selben Tag medizinische Hilfe benötigen, ohne jedwede Form von Abschwächung ca. drei Millionen. Es ist offensichtlich, dass wir nachdrücklich am Abflachen dieser Kurve arbeiten müssen, weil ansonsten der Großteil der schwer erkrankten Personen im Hinblick auf Intubation und Notfallversorgung nicht einmal untersucht werden können.
Wie weit müssten wir eine Normalverteilung [“Gauss-Glocke”] ausdehnen, um sicher zu sein, dass sie unterhalb der Grenze unseres Gesundheitssystems bleibt?
Die Idee hinter “flattening the curve” [“die Kurve abflachen”] legt nahe, dass wir unsere Hände ordentlich waschen und zu Hause bleiben, falls wir krank werden. Tun wir dies “aggressiv” genug, müssen wir das Virus nicht davon abhalten endemisch zu werden und 40% bis 70% aller Menschen zu infizieren, sondern wir können die Ausbreitung der Infektion so verlangsamen, dass unser Gesundheitssystem mit der Belastung fertig werden wird. Aber: So würde unsere normalverteilte Kurve aussehen, wenn sie 10,8 Millionen Patienten [für die USA] umfasst, von denen nicht mehr als 170.000 gleichzeitig schwerkrank sind. [170.000 Patienten ist die geschätzte Grenze für das US-Gesundheitssystem, in Deutschland wären dies zwischen 25.000 und 28.000, aber jedoch ohne Berücksichtigung der bereits aus anderen Gründen belegten Betten, s.o.]. Für Deutschland sieht das so aus:
Dies bedeutet, dass die Abdämpfung der COVID-19-Infektionsrate auf die Grenze unseres Gesundheitssystem eine zeitliche Verteilung der Epidemie auf mehr als ein Jahrzehnt nötig machen würde [in Deutschland mehr als 15 Jahre]. (Auf der ganz linken Seite sehen wir die ungemilderte Verteilung zum Vergleich.) Ich [der Autor des ursprünglichen Artikels Joscha Bach] bin sehr zuversichtlich, dass wir bis dahin effektive Behandlungen gefunden haben, aber die grundsätzliche Idee wird sicherlich deutlich: Die Ansteckungsfähigkeit des neuen Corona-Virus auf ein machbares Niveau zu reduzieren, wird durch Abschwächung nicht möglich sein. Es wird eine Eindämmung notwendig werden.
Die Kurven sind nicht richtig!
Die groben Überschlagsrechnungen hier sind keine ordentliche Simulation und auch kein gutes Modell, was aktuell passiert. Bitte zitieren Sie diesen Artikel nicht als solches! In der Realität folgt die Ausbreitung des Virus keiner Normalverteilung, sondern steigt zunächst sehr viel stärker an, um dann allmählich abzuflachen. (Genauer: Sie ist eher rechtsschief mit einem langen Ausläufer, sog. “long tail”). Es wird auch immer effektive Abschwächungsmaßnahmen geben, z.B. das Verhindern öffentlicher Versammlungen, Konferenzen, nicht unbedingt notwendige Reisen usw. Das Modell reagiert auch sehr sensibel auf die Länge des Aufenthalts auf der Intensivstation. Falls wir diese reduzieren können, würden weniger Patienten diese Ressourcen gleichzeitig benötigen und die Höhepunkte der Kurven würden niedriger ausfallen. Zusätzlich könnte die Entzündung während einer Lungenentzündungen besser bekämpft werden, um so ebenfalls die Anzahl der schweren Fälle zu reduzieren. Die Anzahl der verfügbaren medizinischen Ressourcen wird hoffentlich auch im Laufe der Zeit ansteigen, um mit den Bedürfnissen Schritt zu halten. Vorschriften werden gelockert, neue Behandlungsmöglichkeiten werden erforscht werden und einige von ihnen werden wirksam sein.
Zu einem bestimmten Zeitpunkt in der nahen Zukunft werden wir vielleicht in ein Röhrchen pusten müssen, bevor wir ein Flugzeug besteigen oder ein wichtiges öffentliches Gebäude betreten und ein kleiner Bildschirm wird uns innerhalb von Sekunden mitteilen, ob unsere Atemwege COVID-19, H1N1 oder eine reguläre Grippe enthalten.
Der Kern meines Arguments ist nicht, dass wir dem Untergang geweiht sind oder dass 6% unserer Bevölkerung sterben müssen, sondern dass die Eindämmung unvermeidbar ist. Sie sollte nicht hinausgeschoben werden, weil eine spätere Eindämmung weniger effektiv und teuer sein wird und letztendlich zu zusätzlichen Todesfällen führen wird.
Eindämmung funktioniert
China hat vorgemacht, wie Eindämmung funktioniert. Die komplette Abriegelung von Wuhan hat nicht zu Hunger oder Unruhen geführt, sondern hat die Ausbreitung einer großen Anzahl von infizierten Fällen in andere Regionen verhindert. Dadurch konnten die medizinischen Ressourcen auf die Region konzentriert werden, die sie am meisten benötigt hat (z.B. indem mehr als 10.000 zusätzliche Ärzte nach Wuhan und in die Hubei-Provinz entsandt wurden). Wuhan, das Epizentrum des Ausbruchs hat derzeit weniger als zehn Fälle pro Tag. Die restliche Hubei-Provinz verzeichnete keine neuen Fälle seit mehr als einer Woche.
China hat seine Lektion gelernt. Nach der Abriegelung der Hubei-Provinz haben andere Provinzen effektive Abriegelungsmaßnahmen umgesetzt, sobald die ersten Fälle auftraten. Ähnliches passierte in Singapur und Taiwan. Südkorea hat seine ersten 30 Fälle sehr gut nachverfolgt, bis Patient 31 mehr als 1.000 Menschen bei einer Kirchenversammlung angesteckt hat.
Aus irgendeinem Grund weigern sich westliche Länder, aus dieser Lektion zu lernen. In Italien breitete sich das Virus lange genug aus, um die Versorgungskapazitäten der Krankenhäuser zu überschreiten. Nach Berichten aus der Lombardei führte das dazu, dass mancherorts ältere Menschen, oder solche mit einer Vorgeschichte von Krebs, Organtransplantationen oder Diabetes vom Zugang zur Intensivmedizin ausgeschlossen wurden. Die USA, Großbritannien und Deutschland sind noch nicht an diesem Punkt angekommen: Sie versuchen “die Kurve abzuflachen” (“to flatten the curve”) indem sie ineffektive und halbherzige Maßnahmen umsetzen, die lediglich die Ausbreitung des Virus verlangsamen sollen, anstatt das Virus einzudämmen.
Es wird einige Länder geben, die nicht über die notwendige Infrastruktur verfügen, strenge Eindämmungsmaßnahmen umzusetzen, zu denen umfassende Tests, Quarantäne, Bewegungseinschränkungen, Reiseeinschränkungen, Arbeitseinschränkungen, Neuorganisation der Versorgungsketten, Schulschließungen, Kinderbetreuung für Personen die in kritischen Berufszweigen arbeiten, Produktion und Verteilung von Schutzausrüstung und medizinischen Verbrauchsgütern.
Dies bedeutet, dass einige Länder das Virus bei sich unter Kontrolle bekommen werden und anderen Ländern dies nicht gelingen wird. In einigen Monaten wird sich die Welt deshalb in rote Zonen und grüne Zonen verwandeln und so gut wie jeder Verkehr von roten in grüne Zonen wird unterbunden werden, bis effektive Behandlungsmöglichkeiten für COVID-19 gefunden worden sind.
Die Kurve abzuflachen ist keine Option für die Vereinigten Staaten, Großbritannien oder Deutschland. Statt Zeit mit falschen Hoffnungen zu vergeuden und die Kurve abflachen zu wollen, sollten wir mit der Eindämmung beginnen und die Kurve aufhalten.
Ergänzung vom 18.03.2020
Das Imperial College in London hat eine Studie veröffentlicht, die auf ordentlichen Simulationen basiert (nicht so wie die o.g. groben Abschätzungen). Darin werden höhere Werte für die Infektionsraten verwendet als hier und etwas niedrigere Werte für die Krankenhauseinweisungsrate, die durchschnittliche Behandlungsdauer auf der Intensivstation und die Todesrate. Die Studie kommt jedoch zu derselben Schlussfolgerung: Die Anzahl der Fälle zum Höhepunkt der Infektion überschreitet die verfügbaren medizinischen Kapazitäten — und zwar nicht nur um einen kleinen Faktor, sondern eine Größenordnung. Dies ist auch der Fall, wenn nur milde Maßnahmen zur Abdämpfung eingesetzt werden. Für tatsächliche Auswirkungen der Gegenmaßnahmen muss die Anzahl der auftretenden Fälle drastisch reduziert werden, also durch Abriegelung der betroffenen Regionen. (Diskussion der Studie durch C. Drosten im NDR Podcast.)
Als Antwort auf diese Studie gibt es eine Beurteilung von Chen Shen, Nassim Nicholas Taleb and Yaneer Bar-Yam. Sie weisen auf Fehler in der Studie bei der Bewertung der Gegenmaßnahmen hin, inbesondere dass es nicht zu sich abwechselnden Phasen der Abriegelung und der Ausbreitung kommen wird, bis wir effektive Behandlungsmethoden oder Impfstoffe gefunden haben. Die Erfahrungen aus China haben gezeigt, dass eine Kombination aus Abriegelungen, Haus-zu-Haus-Tests und der Ablaufverfolgung von Kontakten das Virus anscheinend vollständig ausmerzen können.
Ergänzung vom 20.03.2020
Es gibt eine Studie von 2012, die sich intensiv mit einem anscheinend ähnlichen Szenario beschäftigt hat: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 (Drucksache 17/12051 vom 03. 01. 2013). Ergebnis Risikoanalyse „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ (ab Seite 55).
“How long will the shutdown take?” Diskussion zwischen Nassim Nicholas Taleb und Yaneer Bar-Yam (hier die komplette Unterhaltung).
Tomas Pueyo hat einen neuen Artikel geschrieben: “Coronavirus: The Hammer and the Dance — What the Next 18 Months Can Look Like, if Leaders Buy Us Time”. (Es gibt auch eine deutsche Übersetzung von Christina Müller.)
Aktuelle Zahlen für die deutschen Bundesländer.
Für den ursprünglichen Artikel gibt es inzwischen auch eine arabische Übersetzung.
Von Alison Hill gibt es eine wunderbare online Simulation, mit der unterschiedliche Szenarien ausprobiert werden können. Eine etwas vereinfachte online Simulation von Kevin Simler kann zur interessanten Veranschaulichung ebenfalls ausprobiert werden.
[Diese Übersetzung und teilweise Ergänzung entstand nach bestem Wissen und Gewissen, aber unter großen Zeitbeschränkungen, um diesen wichtigen Denkanstoß auch dem deutschsprachigen Publikum zur Verfügung zu stellen, insbesondere Entscheidungsträgern. Fehler bitte ich zu entschuldigen und werde diese schnellstmöglichst beseitigen. Danke für das Verständnis.]
[Vielen Dank an Joscha Bach für seine Unterstützung und an meine Familie fürs “Rückenfreihalten”. 😉]